Ein Interview von Martin Holz mit Christoph Brandl
Alte Bäckerei, Bumkes verwinkelte Höhle. Vor mir sitzt Christoph Brandl und ich weiß nicht, was mich erwartet. Fotos von ihm zeigen einen Mann, der mit seinem Spähauge auf der Suche nach Stories ist. Stories, die er aus Tatsachen gewinnt, um den Schleichpfaden nachzugehen, die darin und in ihm selbst verborgen liegen. Efeu und Gras verdecken sie (im übertragenen Sinn), und unser Gespräch ist die Spurensuche.
MH In der Ausstellung oder dem Projekt „Glashütte“ bekommen Glas und Glasfotos (1) einen zentralen Ort. Auch „Lost Places“ spielen eine Rolle. Wie kam es dazu?
CB Für einen Fotowettbewerb war ich auf der Suche nach sogenannten Lost Places. Das sind Orte, Gebäude meist, die einst eine große Bedeutung hatten, heute jedoch alt und zerfallen sind. Ich fand einen solchen Ort, eine Glashütte an der deutsch-tschechischen Grenze. Doch merkte ich schnell, dass der Ort mitnichten „lost“, also verlassen und vergessen ist. Vielmehr hat er eine große Geschichte zu erzählen (s. Beiblatt), dies tut er allerdings nicht laut und für jedermann verständlich, sondern leise, man muss nach ihr suchen. Daher ist diese Glashütte der erste Ort, den ich whispering place, also „flüsternden Ort“ nennen.
MH Das heißt, du suchst mehr Orte dieser Art?
CB Suchen ist zu viel gesagt. Ich bleibe wachsam diesen Orten gegenüber, weil ich finde, dass sie wichtig sind im Verständnis der Welt, in der wir leben und der Entwicklung, die wir als Menschen darin nehmen.
MH In „Tucson, Arizona“ (2) hast du dich mit einem Mörder auseinandergesetzt und hast versucht ihm zu „begegnen“. Was hat dich daran gereizt, dich mit einem Mörder zu „treffen“ und wie hat das stattgefunden?
CB 1997 entdeckte ich das Buch „Charles Schmid. The Pied Piper of Tucson“. Der Rattenfänger von Tucson– über den Serienkiller Charles Schmid. Beim Lesen habe ich an Schmid etwas entdeckt, das mir zum damaligen Zeitpunkt in meinem Lebengefehlt hat: Witz, Humor, Gelassenheit, Kampfbereitschaft, viel Liebe, viel Sex, Drogen, Geld – und das alles waren Sachen, um die ich ihn beneidet habe. Ich bin nach Tucson gereist und habe versucht, sein Leben nachzustellen. Ich habe mich gefragt: warum wird einer zum Mörder, der – in meinen Augen – alles im Überfluss hat. Er war längst schon tot, aber ich wollte ihn begreifen. Eigentlich, dachte ich, könnten wir Freunde sein.
MH Man begibt sich auf die Spur und beginnt zu suchen. Schmid tötete, um sich zu spüren. Aber was tust du, um das zu erreichen?
CB Ich morde nicht, wenn du das meinst. Und daher muss an dieser Stelle das Nachstellen des fremden Lebens scheitern, vor Ort, am Ort der Morde. Auch bin ich ein anderer Mensch als er. Ich kann mich aushalten und mich akzeptieren. Das ist meine Erkenntnis aus der Begegnung mit Schmid. Heute. Früher war das nicht so klar – überall, wo ich war, dachte ich: jene sind besser, diese schöner und toller.
MH Welche Rolle spielte die künstlerische Arbeit beim Findungsprozess?
CB Indem ich mich ausdrücke, fühle ich eine Verbindung nach Außen. Denn eine künstlerische Arbeit ist auch der Umgang mit dem eigenen Ich – eben mit künstlerischen Mitteln. Ich kann über die Kunst in Kontakt mit anderen Menschen treten und spüren, wie diese Menschen reflektieren, was sie berührt, wie sie reagieren auf das, was ich nach außen kehre. Mein Innen ist nicht mehr innen. Diese Erkenntnis hat mir sehr geholfen.
MH Deine Arbeiten sind nicht nur ein ästhetisches Ding, sondern verleiten und fordern dazu auf, dass der Besucher zum Akteur wird. Partizipatorische Projekte nehmen eine wesentliche Rolle in der zeitgenössischen Kunst ein – auch kontextuelle Herangehensweisen. Beide Strategien sind auch deinem Tun immanent. Welche Rolle spielt der Betrachter für dich?
CB Der Betrachter ist für mich eine Projektionsfläche. Doch wie das, was auf diese Fläche fällt, ankommt, kann ich nicht vorhersagen. Ich kann versuchen, Sinne und Gefühle beim Betrachter anzusprechen. Was mich interessiert, ist, wie das, was ich tue, dann tatsächlich aufgenommen wird. Es ist besonders spannend, die eigenen Arbeiten in einer Gruppe von Betrachtern zu erleben. Beim „Zelt“ (3) zum Beispiel, da erlebe ich, dass die Betrachter des Fotos ganz anders reagieren, wenn sie den Text dazu gehört haben. Der Text zusammen mit dem Foto macht etwas mit ihnen, er berührt sie auf eine Art, die nur in dieser Kombination möglich ist. Das mitzuerleben finde ich spannend.
MH Es gibt dafür einen Begriff. Er lautet Depersonalisation… Wo man zum Zuschauer des eigenen Geschehens wird.
CB Ja… (pause)… ja, aber auch dennoch Teilhaber des Geschehens bleibt.
MH Martin Heidegger spricht in „Der Ursprung des Kunstwerks“ davon, dass Kunst das „Ins-Werk-Setzen der Wahrheit“ sei und mit der Kunst nicht ein Ding, sondern eine Welt aufgestellt wird. Es ist oft zu beobachten, dass das Aufstellen einer Welt mit dem bloßen Hinstellen eines Dings verwechselt wird. Die „Welt“ geht darüber aber abhanden…
Besteht für dich in der künstlerischen Forschung der Sinn, diese Welt auszuforschen?
CB Das ist sicher mein Interesse. Künstlerische Praxis betrachte ich nicht nur vom abgeschlossenen Werk her – also werkästhetisch, vielmehr begreife ich meine Praktiken und Strategien vom Prozess her – also produktionsästhetisch. Der Prozess der Entstehung einer Arbeit ist im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ich nehme diesen Prozess als Phase der Untersuchung oder Entwicklung meiner Arbeit wahr. Wahrheit ist natürlich ein großes Wort. Ich suche das, was die Dinge zusammenhält. Auch das ist ein großes Wort. Ich forsche nach etwas, während das Ergebnis im Auge des Betrachters erscheint. So glaube ich auch an den Wert von Forschung. Ihn zu zeigen, ist mir wichtig.
MH Es müssen vielleicht gar nicht die großen Probleme sein, die reflektiert werden. Im Diskurs der Lebenskunst geht es um die bewusste Gestaltung des Lebens. Hat das, was wir alltäglich tun – wie wir Kaffee kochen oder uns einrichten – etwas mit Kunst zu tun?
CB Nein, Kaffee kochen, mit Verlaub, hat nicht viel mit Kunst zu tun. Einrichtung schon eher, wobei es ein großer Unterschied ist, ob ich von Kunsthandwerk und Handwerk spreche oder von tatsächlich nachhaltig berührende Arbeiten. Die brauchen mehr, als eine reine Kunstfertigkeit. Ich denke, dass alles, was man ohne Bewusstsein tut, nicht von großer Bedeutung ist, daher auch kaum nachhaltig überzeugende Kunst sein kann. Man muss als Künstler nicht zu allem eine Meinung haben, aber man sollte hinschauen – genau hinschauen und sich Gedanken dazu machen wollen, auch, was bewusst leben bedeutet.
MH Du hast mit „Der Container“ (4) einen Container in den Straßenverkehr von Basel gestellt. Darin war ein Wohnraum geschaffen. Wie hat der Passant reagiert?
CB Als Kunstprojekt war der Container nicht bewohnt. Das wurde von der Stadt Basel nicht erlaubt. In der Realität aber, also in New York, vor meinem Haus, wo ich die Person traf, die in diesem Container gelebt hat, hat der Container beim Bürger nicht viel verändert. Doch ich hoffe, wenn der Container erneut aufgestellt wird, dass sich etwas in den Augen des Betrachters ein- oder umstellt.
MH Foucault geht davon aus, dass das Subjekt unlösbar in die Beziehungen der Macht verstrickt ist und sieht eine Lösung in der Ästhetisierung des Subjekts und damit in der Lebenskunst. Mit „Der Container“ habe ich eine Frage der Lebenskunst wieder entdeckt, nämlich: wie sollen wir leben? Du hast gesagt, dass eine bewusste Gestaltung des Lebens von Nöten ist. Welchen Beitrag kann die Kunst dazu leisten?
CB Bei wem? Dem Macher oder dem Betrachter?
MH Ich glaube diese Trennung gibt es bei dieser Frage nicht, weil sie das Leben direkt und als solches angeht und in diesem Sinne sind wir – die Angesprochenen – weder Macher noch Betrachter. Die Frage stellt sich allen gleich. Taucht die Frage auch im künstlerischen Tun auf? Kann sie die anderen erreichen?
CB Das kann sie. Wenn ich nicht das Gefühl hätte jemanden damit erreichen oder verändern zu können – für welche Dauer auch immer – dann hätte das keinen Sinn, was ich tue. Wenn ich nicht glauben würde, jemanden erreichen oder verändern zu können – auch in seinem Gefühl für etwas – dann könnte ich es nicht tun, und ich selbst hätte auch nicht mehr das Bedürfnis danach.
Anmerkungen
1 ‚Glashütte‚
2 ‚Tucson, Arizona‚
3 ‚Das Zelt‚
4 ‚Der Container‚
Über Christoph Brandl
Christoph Brandl ist bildender Künstler. Er arbeitet auch journalistisch, ist Autor von Sach- und Drehbüchern, und Produzent und Realisator von Dokumentarfilmen. Er absolvierte von 1987 – 91 ein Film/TV- und TV-Journalismus-Studium an der New York University.
Projekte
‚Das Zelt‘ (Alaska/Berlin 1986 / 2011)
‚Der Container‘ (Basel 2013)
Tucson, Arizona‘ (Tucson 1997)
‚horch, die flut‘ (Passau 2013)
‚und jetzt‘ (Berlin 2014)
‚1. Mai‘ (Berlin 2002 / 2014)
‚arte nell’officina – Kunst in der Werkstatt‘, ab 31.5.14 in Berlin
Links
www.c-brandl.de
www.brandlstories.de